Wurm und Drang.

Sturm

Ich mag Sturm. Ohne Sturm würde der Welt etwas fehlen. Ohne diesen Ausdruck wäre die Welt und die Sprache ärmer. Statt dieser einen Silbe müsste man sich mit „Starkwindereignis mit Windgeschwindigkeiten von mindestens 76 km pro Stunde“ behelfen, was ziemlich umständlich wäre. Der Wetterbericht würde um ein gutes Stück länger sein: „Ein schweres Starkwindereignis mit Windgeschwindigkeiten von mindestens 76 km pro Stunde wird für morgen über der Nordsee erwartet. Ausläufer dieses Starkwindereignisses werden aller Voraussicht die norddeutsche Tiefebene erreichen und dort zu äußerst starkwindereignisreichen Böen führen.“

Am nächsten Tag wäre die Zeitung voller Berichte über die zerstörerischen Folgen: „Ein Starkwindereignis mit Windgeschwindigkeiten von über 76 km pro Stunde fegte gestern über die norddeutsche Tiefebene hinweg und richtete starke Starkwindereignis-Schäden an. Es deckte Dächer ab, zerstörte allzu preiswerte Regenschirme und ließ Bäume auf nicht abbezahlte Kraftfahrzeuge stürzen. Es war das stärkste Starkwindereignis seit dem Starkwindereignis vom letzten November.“

Ähnlich schade wäre es, wenn bekannte Sprichwörter und Redensarten ihren Charme verlören. „Starkwindereignis im Wasserglas“ klingt ziemlich bemüht und „Starkwindereignis und Drang“ verlöre seinen Reim und seinen Reiz. Eine starkwindereignisreiche Umarmung wäre ein Ausdruck der Liebe, für den die Sprache keinen geeigneten Ausdruck anzubieten hätte.

Außerdem ist es gut, dass ein Sturm ausgerechnet „Sturm“ heißt und nicht zum Beispiel „Wurm“. Nicht auszudenken, wenn ein jedes Mal ein „Wurm der Entrüstung“ durch die politische Szene fegen würde, wenn der Opposition nicht passt was die Regierung tut oder bleiben lässt. Andererseits: Die Nazi-Postille „Der Würmer“ hätte vielleicht weniger Schaden angerichtet, und in „würmischen Zeiten“ hätte die Liebe weniger Chancen zu erblühen. Der „Wurm auf die Bastille“ hätte nicht zur Revolution geführt, und die Wilhelmsburger „Wurmflut“ im Jahre 1962 würde zwar so eklig klingen wie das Dschungelcamp, doch vielleicht wären weniger Tote zu beklagen.

Manches wäre auch nicht so schlimm. Der „Regenwurm“ zum Beispiel hätte bleiben können was er ist.

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