Immer Stress mit der Muße.

Den größten Stress letzte Woche hatte ich mit dieser Muße. Meine Frau Inge sagt, das ist jetzt das ganz heiße Ding der Saison, so Müßiggang eben. Die Nachbarn links reden schon die ganze Zeit davon, und die rechts fangen jetzt auch damit an. Meine Frau und ich, wir sind ja die Trendsetter in der Siedlung. Wir hatten den ersten Flachbildschirm und einen Gartenbuddha hatten wir auch als Erste. Ich weiß noch, was die Nachbarn damals gesagt haben, Chinesenkopp haben sie den Buddha genannt. Heute kann man solche Dinger bei Poco Domäne palettenweise kaufen.

Ist klar, dass wir die Muße haben müssen. Also fahren wir beide sofort los in die Shopping Arkaden. Aber Muße gibt’s da nicht, hat keiner vorrätig. Da erst haben wir gelernt, das ist nichts, was man kaufen kann, das fühlt man. Inge hat diese ganze Muße später mit der Britta Schneider besprochen. Die Schneiders wissen nämlich auch immer genau, was so im Trend liegt, weil die Britta Lifestyle macht für die Frauenpresse. Britta sagt also, das ist, wenn man gar nichts tut. Das wollen wir unbedingt ausprobieren und so verabreden wir uns zur Muße am Freitagabend bei Schneiders auf dem Sofa. Ich besorge so Knabberzeugs und ein gutes Tröpfchen Wein, aber meine Frau sagt, Muße ist nicht mit Wein, sondern dazu ist Tee nötig. Aber auch kein normaler, sondern so ein grüner Tee aus Asien. Ich düse also noch fix in die Stadt und hole diesen Tee. Ist natürlich wieder der Megastau, aber ich hupe mich so durch, bis die lahmen Ärsche mir Platz machen. Wir sind dann eine halbe Stunde zu spät bei Britta und Peter. Sie kocht noch den Tee und tut das Knabberzeugs in kleine Schälchen. Beides wird nett dekoriert auf den Couchtisch gestellt, und schon gehts los mit unserer Mußestunde. Wir sitzen alle auf dem Sofa. Es dauert ein paar Minuten, bis jeder seine Position gefunden hat, ich muss auch den Gürtel öffnen. Britta meint, wir sollten einfach nichts tun und das Leben genießen. Ehrlich gesagt, ist das nicht so einfach, wie es klingt. Ich sehe an die Decke und stelle fest, dass Schneiders ruhig mal renovieren könnten, in einer Ecke gibt es Spinnweben. Ich finde es merkwürdig, dass sie auf sowas nicht achten. Aber das ist natürlich deren Sache.

Nach zwei Minuten Muße sagt Britta, sie fühle sich schon viel entspannter, sie sei komplett voller Muße. Sofort fährt Peter ihr ins Wort, dass das wohl keine Muße ist, wenn sie redet wie ein Wasserfall. Sie guckt wie ein verwundetes Reh und ist wieder ruhig. Wir vier müßiggehen so vor uns hin und genießen das Leben. Ich langweile mich ein bisschen. Soweit ich das verstanden habe, ist das aber der tiefere Sinn von dieser Muße. Es geht um das Loslassen und fühlt sich an wie eine Luxuslangeweile. Inge wippt mit ihrem Fuß. Ich würde jetzt gern was knabbern, weiß aber nicht, ob das erlaubt ist. Verstohlen sehe ich mich um.

Da platzt plötzlich aus der Britta ein richtiger Wortwasserfall heraus. Sie sagt, sie hat letzte Woche auf dem Markt Biofleisch gekauft, aber das hat überhaupt nicht nach Bio geschmeckt, ganz im Gegenteil, eher so nach Spanplatte, und jetzt glaubt sie, das könnte ein Fleischskandal sein, sie wollte sofort zur Polizei, ist dann aber doch nicht hin gegangen, weil ihr das zu blöde war, mit einem angebissenen Kotelett auf der Wache in der Schlange stehen. Peter und ich zischen Britta an, sie soll Ruhe geben, wir sind gerade richtig drin in der Langeweile. Ich habe eben gemütlich darüber nachgedacht, dass ich für meine Modellbahn im Keller lieber ein paar Nadelbäume kaufen will als noch eine Telefonzelle. Telefonzellen sind ja ziemlich out, seit alle Leute Handys haben. Ich glaube, was Modellbahnen angeht, sind eher Nadelbäume im Trend, schon mal wegen der Nachhaltigkeit und der ökologischen Bedeutung des Waldes.

Britta wird jetzt richtig böse. Inge meint sowieso, in deren Ehe steht auch nicht mehr alles zum Besten und der Peter lässt sich von seiner Frau herumkommandieren. Jedenfalls beklagt sich Britta jetzt richtig laut, sie allein habe das Muße-Buch gekauft, sie habe das Haus geputzt und den dusseligen Tee habe sie auch gekocht, ohne dass jemand ihr geholfen hat. Da habe sie doch verdammt noch mal das Recht auf ein bisschen Muße auf ihre Weise. Sie könne sich nun mal am besten entspannen, wenn sie dabei ein paar Worte loslasse. Irgendwie sind wir nach dem Ausbruch alle etwas irritiert und wissen nicht, ob wir alles richtig gemacht haben. Ich nehme mir ein paar Cracker. Peter sagt noch, Golf spielen gefällt ihm irgendwie besser, da kann er wenigstens was tun, während er sich entspannt, und Punkte gibts da auch. Schließlich will man ja wissen, wer gewonnen hat, wozu sonst spielen.

Wir fahren nach Hause. Ich sage, der Abend war wohl ein Reinfall, aber meine Frau meint, überhaupt nicht, weil wir jetzt mitreden können, wenn es um die Muße geht. Inge sagt, sie hat eindeutig gelernt, dass Muße mehr so für den Asiaten geeignet ist. Diese Reisbauern sind die Langeweile irgendwie besser gewöhnt. In unseren Breitengraden dagegen sind wir eben Tatmenschen, und deshalb kann zu viel Muße uns ganz leicht krank machen.