Menschen, die es gut mit mir meinen, haben mich dieses Jahr zum Oktoberfest nach München eingeladen. Das ist Anlass zur Freude, denn ich war schon sehr lange nicht mehr in der bayerischen Hauptstadt und noch nie auf der Wiesn. Die Vorfreude steigt und alle, die mitwollen, trainieren schon eifrig das Trinken von Bier aus Behältern, die man auch zum Bizepstraining benutzen kann.
Mein Blick auf alles Oktoberfestige ist durch die Einladung natürlich geschärft worden. Dennoch überrascht es mich, wie sehr dieses Jahr die Festzeltromantik und das Bayerische den Norden erobert hat. Bei C&A gibt es Dirndls en masse zu kaufen, und die meisten sehen so billig aus, dass man sie für Fastnachtskostüme halten kann. Überhaupt: Das Oktoberfest ist wohl einer der ganz wenigen Anlässe, bei dem Touristen sich allen Ernstes zum Horst machen und sich als Einheimische kostümieren. Es gibt sogar Kostümierungsanleitungen im Internet. Ich meine – Hallo – , da brauche ich doch nur ein Wort zu sagen und schon weiß jeder, dass ich nicht in Laufweite vom Festzelt geboren worden bin. Das sollte man mal zum Mardi Gras machen, alle fahren nach New Orleans und verkleiden sich als Afroamerikaner. Oder wenn wir nach Rio zum Karneval fliegen, kostümieren wir uns als Sambatänzer. Das hätte sicher was, wenn es bei C&A die Kostüme dafür gäbe.
Mich stört es schon ein wenig, wie sehr das bayerische Fest zu einem dieser Abverkaufsereignisse geworden ist, die das ganze Jahr über die Themen für den Konsum vorgeben. Bei Aldi gab es gerade eine Oktoberfestwoche mit Weißwurst in Dosen. Das ist schon schlimm genug. Aber muss denn wirklich jede zweite Kneipe – ob Irish Pub oder American Diner – ihr eigenes Oktoberfest veranstalten, mit weißblauen Tischsets, Fähnchen und launischen Servieraushilfen in so einer Art Dirndlersatz? Jedes dritte Dorf im Hamburger Umland feiert etwas, das sich Oktoberfest nennt. Meist gibt es nicht mal bayerisches Bier, sondern das normale Gebräu, nur eben auf weißblauen Papiertischsets. Im Altersheim feiern sie zünftig mit Kaffee und Kuchen. Auch die Hamburger SPD hat vor kurzem ihr eigenes Oktoberfest gehabt. Am Tag danach waren in der Tagespresse Fotos von kostümierten lokalen Politgrößen zu sehen, die alle den Söder, den Seehofer oder die Aigner machen. Was für ein Schwachsinn!
Vor ein paar Tagen ist mir ein Artikel in einem dieser Lokalblättchen untergekommen. Da wird ein Oktoberfest in einem Einkaufszentrum angekündigt, wo es nach Meinung des Blattes absolut „zünftig“ zugeht. Man bekommt „Musi“ zu hören. Der Autohändler stellt ein Sondermodell vor. Die Leitung des Einkaufszentrums veranstaltet einen Rettichschneidewettbewerb, bei dem es Handys zu gewinnen gibt – und für die Kinder findet der beliebte Laternenumzug mit Spielmannszügen statt. Nicht zu vergessen, die Jugendfeuerwehren messen sich im Wettspritzen. Natürlich braucht man kein Bier zu trinken, wozu auch? Und wer Schweinshaxe nicht mag, der greift zu „einem leckeren Fischbrötchen“, wie das der Bayer eben so macht, wenn er feiert.
Sollen die Leute doch ihren Spaß haben. Doch was hat das mit Bayern zu tun? Irgendwie finde ich es schade, dass wir alle unsere Traditionen in etwas verwandeln, das an einen Kartoffelbrei aus Pulver erinnert, ohne Konturen, ohne alles. Da gibt es Weihnachten ohne Jesus, Halloween aus USA, und alles ist nur ein Anlass, um noch mehr zu konsumieren und die Sau rauszulassen. Ich fürchte ja, manche Menschen halten diese Kaspereien für unsere Traditionen.
Ich bin übrigens gespannt, wann man zum Beispiel in München einen Original Hamburger Hafengeburtstag im Einkaufszentrum feiert – ohne Hafen, ohne Schiffe, aber dafür ziehen sie sich alle so ein Finkenwerder Elbfischerdress an und schunkeln zu Shanties. Wobei … ich glaube, ich habe so etwas Ähnliches vor kurzem wirklich gesehen – in Berlin. Gibt es also nichts, was es nicht gibt in unserer durchgedrehten Spaßkultur?