Vom Bahnhof Hannover-Laatzen, den die Expo-City Hannover stolz „Messebahnhof“ nennt, zum Messegelände selbst führt eine Art Glastunnel auf Stelzen, in denen Förderbänder die Besucher zur Messe gleiten lassen, wie wir es von großen Flughäfen kennen. Dieser Glastunnel trägt den futuristischen Namen „Skyway“. Wie bei meinen letzten CeBIT Besuchen denke ich wieder, eigentlich würde es reichen, auf diesem Himmelsweg hin und her zu gleiten, um die Stimmung auf der CeBIT und in der IT-Branche zu erfahren. Morgens strömen die Massen auf die Messe, übernächtigt zwar, aber auch irgendwie euphorisiert. Nur dass die Euphorie diesmal deutlich schwächer war. Während man noch vor ein paar Jahren morgens begeistert die Kollegen zutextete, hängen jetzt viele ihren eigenen Gedanken nach. An den Gesichtern lässt sich ablesen, es sind nicht nur schöne Gedanken.
Immerhin wird weiter nach vorn gedrängt und gedrängelt. Jung-dynamische Business-Personen überholen sich gegenseitig auf dem Run nach Gesprächen, Abschlüssen, Kontakten, Erfolgen, so wie sich das gehört.
Als ich am Nachmittag in die andere Richtung gleite, sehe ich um mich herum viele müde Gesichter, man steht auf dem Gleitband, kaum jemand drängt noch vorwärts. Begeisterung lässt sich nicht erkennen. Das gegenseitige Grüßen mit dem Business-Schlachtruf „Wir telefonieren!“ klingt oft ziemlich lustlos. Auf der Gegengleitbahn kommen hängen gelangweilte Jugendliche herum. Hat Hannover seinen Schülern Freikarten verpasst, um die Messe mit Besuchern zu füllen? Wieviele Karten wurden überhaupt verkauft?
Beobachtungen vom Messerundgang
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Die Party ist vorbei, die Stimmung ist arbeitsintensiv. Es gibt keine Messegeschenke und selbst Gummibärchen muss man mit der Lupe suchen. Besucher, die in großen Tüten Prospekte mit nach Hause schleppen, sehe ich kaum. Das ist eine der angenehmen Auswirkungen des Internets, es entlastet den Rücken und die Schultern.
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Am meisten Spaß haben die Asiaten. Die grinsen, lachen, sie haben Booth Babes mit kurzen Röcken und verhalten sich deutlich selbstbewusster als in den vergangen Jahren. An vielen Ständen sind sie beinahe oder ganz unter sich. Kein Wunder, nehmen sie doch unsere Krise als ihre Chance wahr.
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Beliebt sind Vorträge. Wo ich vor ein paar Jahren Animateuren zusehen durfte, die laut schreiend und mit viel Musik Leute an die Stände lockten und dann PC-Mäuse und andere Geräte in die Menge warfen wie Kamelle zur Fastnacht, stehen jetzt seriöse Herren und erzählen etwas über eine großartige Zukunft, und was ihre Produkte dazu beitragen.
Die Mutter dieser Vorträge ist etwas, was sich „CeBIT Global Conferences“ nennt, der Eigenwerbung die wichtigste Konferenz der Branche weltweit. Superlative gibt es hier wie Sand in der Beachbar. Um reinzukommen, braucht man ein Badge, um das zu bekommen, muss man sich registrieren. Erstaunlich, wie sich die reale Welt immer mehr an die Computerwelt anpasst. Mit Badge kommt man in einen sterilen Raum mit Klappsitzen. Auf eine Bühne springt eine Frau, die auf Englisch verkündet, sie sei eine bekannte deutsche Fernsehmoderatorin. Ich habe nie von ihr gehört, vielleicht sollte ich einen Fernseher anschaffen. Übrigens: Die Konferenz hat ihren eigenen Jingle.
Der erste Vortragende, der eine Schlüsselansprache zu halten hatte, war der Chief Operating Officer der Microsoft Corporation, Herr B. Kevin Turner. Er sah ein bisschen so aus wie die Geschäftsleute in TV-Spots, die sich über typische Geschäftsleute lustig machen. Eine sehr bunte Krawatte bildete den Kontrast zur allgemeinen Erscheinung.
Sein Vortrag war eine Art „Steve Ballmer für arme Deutsche“. Er lief auf und ab, gestikulierte und sagte eine auswendig gelernte Rede auf. Zuerst dankte er jedem Besucher dafür, dass er Microsoft Produkte benutzt und dem Unternehmen sein Vertrauen schenkt. So wie er es sagte, war er sich offensichtlich bewusst, dass wir ohnehin keine andere Wahl hatten.
Danach beschrieb Herr B. Kevin Turner die Gegenwart und Zukunft seines Arbeitgebers in Tönen, die wir sonst nur am Ende von Vertreter-Motivations-Gehirnwäsche-Wochenenden kennen. Eine unglaublich tolle Zeit … ein unglaubliches Angebot an die Kunden … eine unglaublicher Paradigmenwechsel mit unglaublichen Chancen … wundervolle Möglichkeiten … revolutionäre Befähigungen … die höchstmögliche Qualität … unglaublich positives Feedback von unglaublich glücklichen Kunden … mehrere 100 Millionen … nimm die Power … großartige Produkte, großartige Chancen … unglaublich großartig … eine völlig neue Welt … 9.4 Milliarden oder Billionen pro Jahr … mit dem Konsumenten auf eine tiefe Weise verbunden (???) … völlig neue und frische Erfahrungen … unglaublich … unique … und immer wieder sind alle Mitarbeiter von Microsoft aufgeregt. Sie arbeitet aufgeregt an Handys, sie freuen sich und sind aufgeregt, weil sie so toll sind, sind sind aufgeregt, was wohl die Kunden sagen … und aufgeregt wegen der unglaublichen Möglichkeiten …
Ich sitze da und glaube, einem Kabarettisten zu lauschen, der sich über Microsoft lustig macht.
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Große Unternehmen wie IBM oder die deutsche Telekom haben ihre Stände um die Halleneingänge herum konstruiert. Der Effekt: Ich komme in die Halle und stehe auf dem Stand. Der von der Telekom ist so voll wie ein T-Punkt am Samstag. Hunderte stehen ratlos herum. Hier ist die Messe ein bisschen wie das wirkliche Leben.
Webciety: Unser kleines Wohnzimmer
Auf der CeBIT von heute werden nicht nur die krawattenbehängten Fachbesucher mit ihren Orderblöcken hofiert, sondern auch jede Menge andere Zielgruppen, die man so auf eine Messe locken kann. Kids zum Beispiel, die eine eigene Halle zum Spielen bekommen haben und eine weitere Halle zum Krachmachen. Oder auch wir Blogger, Social Media Freunde und Social Network Fans. Für uns gibt es eine Art schwarze Lounge mit kleinen Ständen von Firmen, die ich nicht kenne. In deren Mitte befindet sich eine nicht besonders große Bühne, die Heimat der „Webciety“. Deren Motto „Internet is coming home“ hat etwas Drohendes, komm Du mir bloß nach Hause.
Hier sitze ich eine Weile, höre zu und twittere zurück. Was auffällt, ist, dass die Firmenvertreter von einer Zukunft schwärmen, wo alle vernetzt sein werden und Flatterbänder per Twitter sofort an die Lokalzeitung gemeldet werden. Und im Publikum sitzen vor allem die, deren Leben schon heute so funktioniert. Viel lieber würde man ja die breite, schweigende Masse erreichen, aber die ist breit und schweigt und kommt nicht auf die CeBIT.
Und Schluss!
Dann sitze ich wieder im Zug nach Hamburg, inmitten der bereits genannten breiten Masse. Man liest Frank Schätzing, Kindergeschrei tönt aus den verschiedenen Ecken des Waggons und nebenan unterhalten sich gestandene Männer beim Nachittags-Bier darüber, was der Lidl alles falsch macht. That’s Real Life, das wahre Leben hat mich wieder.