Vor ein paar Tagen habe ich ein kurzes Seminar zu Android mitgemacht. Es gab einen freundlichen Seminarleiter im karierten Hemd und einige Damen und Herren ab 60, die Fragen hatten wie „Wie kann man nervige Apps löschen?“, „Braucht man ein Virenprogramm?“ oder „Was ist der Unterschied zwischen Installieren und Aktualisieren?“
Außerdem sind da Mutter und Tochter. Mutter eine zierliche Dame um die 80, die wohl so gut wie gar nichts über Smartphones weiß. Tochter eine energische junge Frau, die entschieden hat, dass ihre Mutter diesen Kurs mitmachen muss. Sie ist als Begleitperson für ihre Mutter eingetragen und passt auf, dass Mutter nicht abhaut. Es gab da wohl einen Familienrat, der entschieden hat, dass die Familie ab jetzt über eine Whatsapp-Gruppe kommuniziert, wenn was ist. Mutter kann das nicht, also muss Mutter das eben lernen.
Es ist unendlich traurig, die beiden zu beobachten. Der Kursleiter bittet uns, den Playstore aufzurufen. Mutter sieht ihr Handy ängstlich an, Tochter faucht. Tochter zeigt, wo Mutter klicken soll. Mutter legt den Finger auf den Bildschirm und drückt mit Kraft. Mutter fragt, wozu man einen Playstore überhaupt braucht. Kursleiter antwortet einsilbig, da er seit fünf Minuten über nichts anderes geredet hat. Tochter zischt Mutter an, sie solle sich alles aufschreiben. Mutter ist den Tränen nahe, sie wolle doch nur telefonieren und ihr altes Handy sei so schön gewesen, das hätte Tasten für die Zahlen gehabt. Tochter meint, das alte Handy sei technisch überholt.
In der Pause, als Tochter vor dem Haus raucht, erzählt uns Mutter, sie habe von dem Seminar nichts gewusst, bis sie mit uns am Tisch saß. Sie sieht ihre Notizen an, „installieren“ steht da und „Playstore“ und „App“.
Es ist uns völlig klar, dass Mutter vielleicht nie lernt, wie man mit dem Smartphone umgeht. Sie will es ja gar nicht lernen. Sie hat große Angst vor dem Gerät, und offensichtlich versteht sie nicht, warum die Familie beschlossen hat, dass sie das jetzt lernen muss. Flüsternd stellt sie eine Frage an die Tochter. Tochter antwortet laut, sie solle die Frage an den Kursleiter stellen. Mutter fragt, was eine App ist. Wir starren auf unsere Bildschirme.
Ich denke an all die Frauen aus der Nachkriegsgeneration, die so stolz waren auf ihre Unselbständigkeit. Damals haben die Muttis es genossen, dass Vatis über die technischen Sachen Bescheid wusste. Bankkonto, Videorecorder, Ölheizung, Krankenkasse, Bundestagswahl, Vati macht das. Jetzt ist Vati nicht mehr da, und die Welt wird immer komplizierter. Statt des einen Telefons im Flur, für das die Post monatlich eine Rechnung schickte, gibt es jetzt jedes Jahr ein neues Ding, immer kleiner als das vorige und mit Kamera und Taschenlampe. Wozu braucht man eine Taschenlampe im Telefon? Wen kann man so was fragen? Am Telefon im Flur konnte man kaum was falsch machen, man nahm den Hörer ab, wartete auf das Tuten und wählte eine Nummer. Alles andere wusste Vati. Jetzt sind Telefone flache Dinger, die keine Tasten mehr haben und wenn man sie berührt, ist alles weg und man weiß nicht, was man gemacht hat und was man jetzt machen soll. Und der einzige Weg, Kontakt zu Kindern und Enkeln zu halten, geht über diese flachen Dinger.
Mutter schreibt das Wort „Home“ in ihr Notizbuch. Klar, die Tochter verhält sich unmöglich, und ich habe große Lust, sie zur Rede zu stellen, weil sie ihre Mutter hier so vorführt. Aber irgendwie ist auch ihr eine Verzweiflung anzumerken. Sicher wurde sie nicht mit diesem herzlosen Fauchen geboren. Sie hat es gelernt. Ich sehe ein kleines Mädchen vor mir, über die Rechenaufgaben gebeugt. Das Mädchen verstand damals nicht, wozu man Cosinus können muss, und von Mutter kamen wohl nur einsilbige Kommandos als Antwort auf seine Fragen.
Ist das Verhalten der Tochter eine späte Rache? Nicht nur für die Schulzeit, auch für den absoluten Unwillen der Eltern, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Ich war dabei, als eine andere Tochter einer anderen Mutter ein Tastentelefon zu Weihnachten schenkte. Damals hatte die Mutter darauf bestanden, dass so etwas Neumodisches ihr nicht ins Haus kommt. Die Tochter ist ziemlich gekränkt mit ihrem schönen Geschenk wieder abgezogen, am Heiligabend und mit einer Riesenwut im Bauch.
So. Damit das hier nicht völlig depressiv endet, will ich den Eltern von heute folgenden Rat geben: Wenn Ihr die Hausarbeiten Eures Nachwuchses kontrolliert, denkt daran, dass ihr irgendwann völlig von Euren Kindern abhängig sein könntet. Dann werden die Töchter und Söhne vielleicht so mit Euch reden, wie Ihr jetzt mit ihnen sprecht. Interessanter Gedanke, oder?